Was für ein Jahr, 1979. Die Welt war politisch im Umsturz und schlimme Dinge sind geschehen: Arschlöcher wie Ayatollah Khomeini und Margaret Thatcher gelangten in Iran und England an die Macht, in Deutschland wurde Franz-Josef Strauß Kanzlerkandidat der Unionsparteien. Die Volksrepublik China und die USA nahmen diplomatische Beziehungen auf, die Terrorherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha geht zu Ende und die Republik Kambodscha wird gegründet. BLACK SABBATH schmeißen Ozzy raus und ersetzen ihn durch den ehemaligen RAINBOW-Sänger Ronnie James Dio, SEX PISTOL Sid Vicious stirbt an mutmaßlich vergiftetem Heroin. Außer vielleicht den DIRE STRAITS (damals!) fährt jede Band, die sich nicht Krach und Krawall auf die Fahne schreibt, massig Keyboards, Sequenzer, Synthesizer, Loopmachines etc. auf, um eventuelles Unvermögen beim Songwriting oder einfach der Beherrschung ihrer Instrumente zu kaschieren. Und dann waren da noch MOTÖRHEAD.
Sänger, Bassist und Songschreiber Lemmy, der wegen des Besitzes von Amphetaminen verhaftet und infolgedessen bei HAWKWIND rausgeschmissen wurde, wollte die härteste, dreckigste und -heute würde man sagen: politisch am wenigsten kompatible Band gründen. Mit Schlagzeuger Phil „Philthy Animal“ Taylor und Gitarrist „Fast“ Eddie Clarke hatte er endlich die richtigen Mitstreiter für dieses Projekt gefunden. Mit den beiden nahm er 1979 zwei Alben auf, die wie die die sprichwörtlichen Bomben einschlugen: „Overkill“, veröffentlicht im März, erreichte Platz 24 der britischen Albumcharts, und weil’s so gut lief, schoben MOTÖRHEAD am 27. Oktober des gleichen Jahres (also vor fast genau 40 Jahren) noch „Bomber“ hinterher- und landeten damit sogar auf Platz zwölf der Hitparade. Beide Alben, von Punk- und Metalfans zu Recht als absolut genreprägende Meilensteine gefeiert, ließen sich stilistisch keiner der beiden Richtungen zuordnen; die Band selbst nannte ihre Musik schlicht „Rock’n’Roll“.
BMG veröffentlicht „Overkill“ und „Bomber“ im Jubiläumsjahr neu, und zwar in einer ganz fetten Box, die es buchstäblich in sich hat. Und zwar folgendes:
*Die beiden Originalalben „Overkill“ und “Bomber“ von den Originalbändern (!) neu gemastert und auf 180 Gramm Vinyl gepresst,
*Zwei Doppel-Live Alben mit bisher unveröffentlichten Konzerten aus Aylesbury Friars und Le Mans von 1979,
* Ein 40 Seiten umfassendes, fiktives Musikmagazin mit massenhaft unveröffentlichten Fotos aus dieser Ära,
* Eine LP „The Rest Of ‘79“ mit B-Sides, Outtakes und seltenen Titeln,
* Die “No Class 7” Single mit Gatefold-Cover,
* Das “Bomber” Tour-Programm,
* “Overkill” Notenheft (!) und
* vier (nachgebildete) Buttons von 1979.
Das alles kommt in einer schicken Box in schwarzer Lederjackenoptik und erfreut neben den Ohren auch Augen und Herzen aller Sammler. Ein wirklich unfassbares Paket, mit ganz viel Liebe, Geduld und Stil zusammengestellt, das der Band, die sich öffentlich und in Interviews eher mit Outlaws und den Verlierern der Zeit des Kalten Krieges solidarisiert hat, ein würdiges Denkmal setzt. Unbedingte und uneingeschränkte Kaufempfehlung für alle Vinylfans und Besitzer eines funktionierenden Plattenspielers!
Für Fans anderer Formate gibt’s „Overkill“ und „Bomber“ als sehr edel gestaltete 2CD-Digipaks mit dem neu gemasterten Originalalbum und einer Live-CD sowie einem jeweils 20-seitigen Booklet mit bisher unbekannten Bildern und Interviews. Muss man haben und kann man schon jetzt als Weihnachtsgeschenk bunkern. Sollte diese Box jemals übertroffen werden, z.B. durch eine noch tollere Box, fresse ich mein Rezensionsexemplar.