Als mit „Der Überläufer“ ein weiterer deutscher 2. Weltkriegsfilm auf meinem Tisch landete, schwante mir zunächst nichts Gutes. Einerseits, weil filmisch bereits wirklich alle Facetten dieser dunklen Epoche unserer Geschichte beleuchtet wurden, und zudem fast alltäglich etwaige Dokus Hitlers noch so dunkles Geheimnis auf den Dritten über den Bildschirm flimmern. Übersättigung darf man in diesem Zusammenhang nicht verwenden, jedoch dürften jenes Programm doch eher hartgesottene historisch Interessierte wahrnehmen. Als ich jedoch las, dass der Film unter der Regie und Drehbuch-Mitwirkung von Florian Gallenberger entstand, war mein Interesse schlagartig wieder geweckt. Gallenberger überzeugte mich bereits mit seinem Spielfim-Portrait „John Rabe“, als auch zuletzt mit „Colonia Dignidad“, der sich mit der Schreckensherrschaft von Paul Schäfer in seinem chilenischen Dschungelcamp befasste.
Die Geschichte von „Der Überläufer“ dreht sich um den jungen Walter, der sich 1944 auf den Weg an die Ostfront macht. Bevor sein Zug wegen einer Mine entgleist, und ihn ins polnische Nirgendwo zu einer Gruppe Wehrmachtssoldaten unter sadistischer Führung von Wilhelm Stehauf führt, trifft er auf die polnische Partisanin Wanda, und verliebt sich in sie. Tragendes Thema des Films ist jedoch das titelgebende Überlaufen, mit dem sich Walter konfrontiert sieht, während sein Kamerad Wolfgang sich bereits früher der Roten Armee anschließt. Dies bildet grob die erste Hälfte des Films, und um nicht alles zu verraten, lasse ich den Fortlauf der Handlung mal im Dunkeln.
Die Story basiert auf der Vorlage von Siegfried Lenz, der die Geschichte bereits in den 50ern veröffentlichen wollte, da aber sofort auf taube Ohren stieß, da man das so nicht veröffentlichen wollte. Erst 2014 wurden seine Manuskripte wiederentdeckt, und 2016 dann endlich herausgebracht. Der Film hält sich wohl nah an die Vorlage, wobei ich das nicht genau beurteilen kann, da ich das Buch bisher nicht gelesen habe. Gallenberger schaffte es aber definitiv einen packenden Streifen zu inszenieren, der über die drei Stunden Laufzeit nie langatmig wirkt. Das liegt aber auch an der namhaften Besetzung, die über viel Erfahrung verfügt, und ihren Figuren glaubhaft Leben einhauchen kann. Darunter Leute wie Jannis Niewöhner, Bjarne Mädel, Sebastian Urzendowski, ein hervorragender Rainer Bock und auch Ulrich Tukur in kleinerer Rolle (der in „John Rabe“ damals die Hauptrolle spielte). Atmosphärisch, Ausstattung top, auch da lässt sich nichts meckern. Die Liebesgeschichte wäre nicht zwingend nötig gewesen in aller Konsequenz, und das wohl hinzugedichtete Ende in den 50er Jahren war auch etwas grenzwertig und unpassend.
Alles in allem ist „Der Überläufer“ aber gewohnt qualitativ hochwertige Ware aus Gallenbergers Hand, welche die Geschichte von Lenz um Moral, Verrat, Loyalität, Ehre (ob richtig oder falsch) und menschliche Entscheidungen treffend skizziert. Sicherlich für ein wesentlich größeres Publikum gedacht als jene, die lediglich neuen Stoff um den WW2 sehen möchten. Die Blu-ray bietet eine gute Bild- und Tonqualität, in den Extras finden sich einige Featurettes, ein längeres Making Of und die übliche Trailershow.