Der Blick aufs Promofoto sorgt bei mir erst einmal für einen Moment der Verwunderung und die Frage, wo der Rest der Band ist. Die Antwort ist, es gibt keinen. SIX DEGREES sind Luca Correnti und Valentina Aleo und mit dieser kleinen Besetzung momentan wohl eher mehr Projekt als Band. Schaffen sie es trotzdem in einem Genre abzuliefern, in dem Bands wie SLIPKNOT oder MUSHROOMHEAD nahezu das fünffache an Personal ins Feld führen?
Das Album eröffnet „Restart – Erase“ mit einem vertrackten Riff. Luca Correnti liefert einen Wechsel aus Spoken Word und Growls, die auch bei Bands wie IN FLAMES gut funktionieren, bevor Valentina Aleo das ganze mit einer Prise LACUNA COIL würzt, ein schickes Gitarrensolo gibt es noch oben drauf. Ein Wechselspiel, dass das ganze Album dominiert und auch in den allermeisten Fällen gut aufgeht. Leider klingen die Basslinien so, wie ein Gitarrist denkt, dass sie klingen müssen, und auch die Drums wirken programmiert. „Malakas Multiple Choice Answer“ stampft in ähnlicher Manier weiter, hier kommt zum ersten Mal ein bliepender Synthie zum Vorschein. „Imperfect“ startet mit einem Synthesizerintro und dem Geräusch einer gescratchten LP, dieses Mal darf Valentina gar den Anfang machen. In „May 10“ darf Valentina im Refrain glänzen, stößt dabei an ihre Grenzen, überschreitet sie aber auch nicht. Zum Schluss singen dann beide clean im Duett, was auch wirklich überzeugend klingt. „The Unexpectable“ startet dann mit cleanen Gitarren und läutet damit die erste Ballade des Albums…nein, falscher Alarm. Die Stromgitarren grooven das Intro aus den Ohren, bereiten aber den Weg für einen verdammt starken Refrain von Valentina. Hier ziehen SIX DEGREES alle Register und liefern den Höhepunkt des Albums. Fast genauso stark geht es dann mit „Stuck In The Middle“ weiter, ein schönes Gitarrensolo inklusive. „Night Is Over“ beginnt mit Dual Leads und lässt dem weiblichen Gesang mehr Raum als die vorangegangen Songs, bleibt dabei auch – vergleichsweise – ruhig. „Silent Glance“ und „Stillness“ folgen weiter der mittlerweile bekannten Formel, machen dabei ihre Sache aber auch richtig gut. „None Of Us“ beginnt mit poppigen Elektronika und ruhigem, cleanen Männergesang und liefert damit dann letztlich doch die zu erwartende Ballade des – nein, wieder ausgetrickst. Die Gitarren stampfen wieder los und bereiten Luca Correnti ein mächtiges Fundament für seine Stimme. Der Song bündelt noch einmal alle Stärken des Albums, vielleicht hätte hier auch Schluss sein sollen. Denn der Rausschmeißer „The Power of Love“ klingt leider wie ein solcher. Um 05:00 Uhr morgens, wenn die Lichter angehen, man endlich die Barhocker hochstellen und die letzten beiden am Tresen klebenden Saufnasen aus dem Club vergraulen will, ist dieser Coversong, der klingt wie aus der finstersten FROG LEAP STUDIOS-Hölle, wahrscheinlich genau das richtige Mittel der Wahl. Eventuell noch als augenzwinkernde B-Seite oder als Hidden Track, als Abschluss eines so guten Albums eignet er sich allerdings so gar nicht – zumal das Album auch ohne diesen Song auf eine angemessene Spieldauer gekommen wäre.
„No One Is Innocent“ ist ein starkes Debütalbum eines ambitionierten NU METAL-Projekts und definitiv ein Statement dafür, dass dieses Genre in großen Teilen der Szene zu Unrecht verschrien ist – mit Luft nach oben und einem unnötig unglücklichen Ende. Eventuell könnte der kreative Input weiterer vollwertiger Mitglieder das Spektrum noch erweitern und der Band eine Chance bescheren, weiter oben mitzuspielen. Aber auch so wird es spannend sein, den weiteren Werdegang von SIX DEGREES zu verfolgen.