Wenn es stimmt, dass große Kunst im Schmerz geboren wird, dann trifft das auf kaum eine zeitgenössische Band so zu wie auf die Franzosen von GOJIRA. Auf ihrem bisherigen Opus Magnus, dem 2016 erschienen „Magma“, verarbeiteten die Brüder Duplantier den Tod ihrer Mutter, und auch mit „Fortitude“ legen sie ihre Finger wieder in die Wunden der Welt. Bereits im Vorfeld der Erscheinung des Albums starteten sie eine Spendensammlungsaktion zugunsten der „Articulação Dos Povos Indígenas Do Brasil“ (APIB), einer Organisation indigener Völker Brasiliens, in deren Rahmen Instrumente und andere Sammlerstücke von Bands versteigert wurden. Weggefährten wie TOOL, BRING ME THE HORIZON und LAMB OF GOD beteiligten sich ebenso daran wie die Thrashgötter von SLAYER, und last but not least die Band, denen GOJIRA ihre Inspiration zum Musik machen, ihre Karriere und Joe Duplantier schließlich auch seine Ehe verdanken – METALLICA. Wer kann schon behaupten, seine Frau kennengelernt zu haben, als er mit Lars Ulrich einen trinken gewesen ist? Und was kann aus der Kombination aus großem Musikertum, sozialem Engagement, extremen persönlichen Erfahrungen der vergangen Jahre und einer steilen Karriere beflügelt von den eigenen Idolen letztlich anderes entstehen als ein geniales Stück Musik?
Am Anfang des Album stehen drei der bereits im Vorfeld als Single ausgekoppelten Songs, „Born For One Thing“, „Amazonia“ und „Another World“. Bereits die ersten Töne des Openers versprechen mit vertrackter Rhythmik und erstklassigem Sound höchsten Hörgenuss. Hier sitzt einfach alles genau da, wo es hingehört. Joe Duplantiers Attacken aus Downstrokes und Palmmutes, die immer wieder mit einprägsamen Melodien garniert werden, lassen sich zwar im Gesamtbild der Songs keinem Genre so wirklich zuverlässig zuordnen, sein großes Vorbild James Hetfield hört man aber zweifellos heraus. Die Musik lebt aber auch vom Groove und Einfallsreichtum der Rhythmusfraktion, angetrieben vom schier unerschöpflichen Einfallsreichtum und messerscharfer Präzision des Drummers Mario Duplantier. Die Krone setzen alledem die verschiedenen Klangfarben Joe Duplantiers auf. Über fünfzig Jahre nach dem Urknall des Heavy Metal in Gestalt von BLACK SABBATHs selbstbetiteltem Debüt ist es immer schwieriger geworden, als Band einen eigenständigen Stil zu finden. GOJIRA bewahren scheinbar mühelos diese Eigenständigkeit auch dann, wenn sie wie in „Amazonia“ aufgrund der Thematik, und des von Maultrommel, indigenen Grooves und Gesängen mitgetragenen eindeutig in Richtung „Roots, Bloody Roots“ schielen und dabei auch noch den – aus meiner subjektiven Sicht – besseren Song abliefern. „Another World“, der als erste Singleauskopplung so gar nicht bei mir zünden wollte, klingt dann wieder komplett anders, entfaltet im Kontext dieses Albums aber seine volle Magie, und spätestens ab diesem Song gibt es kein Entkommen mehr aus dem Sog dieses Werkes. „Hold On“ holt mich in genau der Ruhe ab, in der mich der vorige Song zurückgelassen hat, und lässt sich nahezu zwei Minuten Zeit, um so richtig Fahrt aufzunehmen. Der Gesang von Joe Duplantier bleibt dabei unkonventionell. Auch wenn GOJIRA ihren Vorbildern huldigen und immer wieder Reminiszenzen an sie anklingen lassen, klingen sie doch wie keine andere Band, und das gilt in noch höherem Maße für ihren Sänger. Immer wieder ergehen sich die Songs in mantraartige Wiederholungen wie im groovigen Banger „New Found“, ohne auch nur eine Sekunde langweilig zu werden. „Fortitude“ als Titelsong zu wählen, ist eine gewagte Wahl, hat er doch keinen Text, keine Stromgitarren und fungiert letztlich nur als Hinleitung zu „The Chant“, einem bewegenden und eindringlichen Song über die chinesische Besetzung Tibets und das damit verbundene Leid. Auch dieser Song wurde aus Single ausgekoppelt und mit einem mehr als sehenswerten Musikvideo versehen. Mehr nach GOJIRA, wie man sie kennt, klingt da „Sphinx“, der mit einer ganzen Spur tieferen Vocals von Duplantier aufwartet. Wo holt er’s nur weg? „Into The Storm“ täuscht am Anfang schwarzmetallische Atmosphäre vor, nur um einen dann wieder in Sturm als Duplantiers Downstrokegewitter zu werden, ein epischer Refrain inklusive. Eine kurze Verschnaufpause gibt es mit „The Trails“, bevor dann der Riffwahnsinn im finalen „Grind“ noch einmal erbarmungslos zuschlägt.
Über die Laufzeit schaffen es alle Bandmitglieder, den Songs ihren Stempel aufzudrücken. Ein Rädchen greift ins andere, jedes Instrument setzt unverzichtbare Akzente. Unter ihnen stechen aber die Gebrüder Duplantier am Schlagzeug sowie in der Doppelrolle Gitarre und Gesang besonders hervor. Die Vielzahl an Genres zu benennen, deren Versatzstücke sich GOJIRA auf diesem Album bedienen, wäre so albern wie unzureichend, denn wozu zehn verschiedene Genres betiteln, wenn die Musik so aus einem Guss wirkt und qualitativ dermaßen hochwertig ist? „Fortitude“ ist der bisherige Höhepunkt in GOJIRAS Diskographie, so voller Weltschmerz und doch so hoffnungsvoll in seiner musikalischen Strahlkraft. GOJIRA manifestieren mit diesem Album ihren Status als Ausnahmeband, und „Fortitude“ ist ein weiterer Meilenstein auf ihrem Weg Richtung Metalolymp.