Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie lange mein letztes KNORKATOR Konzert her ist, doch mit „deutlich zu lange“ lieg ich wohl nicht so falsch. Mit den Alben nach der Reunion 2011 haben sie mich nie wieder zu 100% gepackt, persönliche Prioritäten haben sich grundlegend verschoben und eine Pandemie (ihr habt vielleicht davon gehört) on top haben letztlich dafür gesorgt, dass mein Konzertgängerverhalten, welches eh nie stark ausgeprägt war, nochmal geschrumpft ist. Doch jetzt, mit Studioalbum Nummer 10 hat mich Deutschlands wuschigstes Männerballett wieder im Sack (siehe auch Kritik zu „Sieg der Vernunft“). Da kann man dann auch mal entgegen der eingefahrenen Gewohnheiten eine Konzerthalle aufsuchen; in diesem Fall das JUZ in Andernach. Ist nah, ist gut.
Das Amüsement mit dem Wundervollen eines Wiedersehens verbunden, treffe ich mich bereits nachmittags, bei absolut fiesestem Herbstwetter mit meinem alten Lieblingsnerd Senad P., dem ein oder anderen von euch evtl. noch von „Rock Im Westerwald“ bekannt. Gemeinsam mit ihm geht es zunächst zum Interview mit dem Hirn hinter KNORKATOR – Alf Ator. Nach rund 67 aufschlussreichen, unterhaltsamen Minuten (angesetzt waren 30 / siehe unten) begeben wir uns zwecks persönlichem Gedöns zunächst ins wilde Industriegebiet Mülheim-Kärlich, um später dann erneut das Jugendzentrum aufzusuchen. Vor diesem lümmeln und tümmeln sich bereits massig Leute, und wieder einmal fällt mir auf, dass vermutlich nur wenig andere Bands eine derart breit aufgestellte Fanbasis haben: vom klassischen Metalhead mit Kutte, über angetrunkene Bierzelt-Ullis bis hin zu Leuten, denen man auf den ersten Blick schlichtweg gar keinen Musikgeschmack zumuten würde, läuft hier alles herum.
Ist das JUZ ausverkauft? Es fühlt sich jedenfalls so an und ich wünsche mir in den nächsten 160 Minuten mehr als einmal eine kleine Garderobe, damit die dicke Jacke und der Zipper kurz Urlaub machen dürfen. 160 Minuten die mein etwas zu dickes Herz aber immer wieder zum Hüpfen bringen; sei es durch die bunt gemischte Setlist mit Klassikern, Neulingen und Fan-Favorites gleichermaßen, den – besonders vorne – absolut amtlichen Sound, oder die überbordende Spielfreude der Musiker. Allen voran Front-Aggregat Stumpen wird nicht müde, zu erwähnen, wie glücklich er ist, vor uns spielen zu dürfen. Und man nimmt es ihm ab, ist die schöne Stadt am Rhein über die Jahre doch feste Anlaufstelle für Hundertschaften treuer, euphorischer Fans geworden.
8 (acht!) von 11 Songs der neuen Platte haben ihren Weg ins Set gefunden und fügen sich geschmeidig ins Gesamtbild ein. Mehr noch, sie werden bereits jetzt empfangen wie alte Bekannte und mitgesungen, als seien sie schon Jahre da. Der eröffnende Titelsong lässt die Massen verzückt „Rache“, „Vernichtung“ sowie „Töten“ brüllen, „Die Welt Wird Nie Wieder So Wie Sie Vorher War“ kriegt etliche von Stumpen dirigierte „Scheiße“-Gangshouts und „Milliardäre“ wird aus gefühlt allen Kehlen mitgesungen. Alles geil, aber nichts geht über „Ihr Habt Gewonnen“, der mir auch live Hummeltitten deluxe verpasst. Showtechnisch ist das meiste wie gehabt, Stumpen schießt Konfetti aus seinem „Rektum“, Alf zertrümmert ein Keyboard und „die alte Frau“ wird zwischendurch geneckt. Doch halt! „Böse“, vermutlich mit der Song, den die Band selbst nicht mehr hören kann, wird genau damit kokettierend, nämlich mit einem umgeschriebenen Intro von Alf eingeleitet, als plötzlich sein Sohn Tim Tom das Mikro übernimmt und in derbster Death Metal Manier dem Bandklassiker ein ungewohnt krachiges Gewand verpasst. Saustark! Insgesamt sind es übrigens ganze 5 Songs vom Debüt, die durch die Hallen des JUZe ballern. Besonders deshalb interessant, weil von den letzten Alben „Widerstand Ist Zwecklos“, „Ich Bin Der Boss“ und „We Want Mohr“ es jeweils nur ein Song ins Programm geschafft hat. Ok, von „Hasenchartbreaker“ kein einziger.
Nach den lautstark gefeierten „Weg nach unten“ und „Wir werden alle sterben“ (inklusive eines unfassbar schiefen ersten Refrains aus dem Publikum) geht es mit dem zum Sterben schönen „Hymne“ in den Zugabenblock, und hier geben Band und Fans nochmal alles.
Vermutlich niemand schafft vor dem am nächsten Morgen heiser Aufstehen noch was anderes außer „Zähne Putzen, Pullern Und Ab Ins Bett“.
Danke KNORKATOR! Danke Andernach!
Zwei Sachen noch: Ja, KNORKATOR haben in der Regel nie Vorbands, wen auch?? ABER: Muss die Alternative ein aufgezeichneter Twitch-Livestream über eine Leinwand von IN EXTREMOS Specki sein, der eine Stunde (!) mit Evil Jared, sowie Buzz-Dee und Stumpen von KNORKATOR kocht? Das hat nach rund der Hälfte, nicht nur wegen des grauenvoll scheppernden Sounds übel genervt.
Zweitens: Ich erwarte nicht, dass es auf Konzerten von Stromgitarrenbands wie im Douglas riecht, aber teilweise konnte einem im JUZ wirklich übel werden. Ich konnte dieser Mischung aus Bierschiss, Urin und altem Schweiß leider nichts „Authentisches“ mehr abgewinnen. Mein Appell: „DEEEOOOOO, wir fahrn ins JUZ!“, oder halt „Haare waschen, Duschen und ab aufs Konzert!“
Setlist
- Sieg Der Vernunft
- Kurz Und Klein
- Der Ultimative Mann
- Die Welt Wird Nie Wieder So Wie Sie Vorher War
- Hofstaat
- Tut Uns Leid
- Böse
- Du Nich
- Ich Lass Mich Klonen
- Ma Baker
- One Way Or Another
- Ihr Habt Gewonnen
- Rette Sich Wer Kann
- Schwanzlich Willkommen
- Milliardäre
- Es Lebe Der Tod
- Alter Mann
- Ding Inne Schnauze
- Weg Nach Unten
- Wir Werden Alle Sterben
- Hymne
- Eigentum
- Du Bist Schuld
- Zähne Putzen, Pullern Und Ab Ins Bett