Das erste Konzert des Jahres, und das mit einer Spitzenband, einem Monster als Support, und einem unbekannten Newcomer. Klingt super, aber der Abend beginnt erstmal mit der Hürde, dass meine Akkreditierung und auch der Fotopass nicht vorliegen. Nach einigem hin und her darf ich dann aber doch ins Grünspan, und das mit dem Fotografieren geht auch in Ordnung. Geht doch.
Das Konzert ist schon seit längerer Zeit ausverkauft, was im Grünspan zwar immer für eine Bombenstimmung sorgt, an wärmeren Tagen aber auch gerne zur Qual werden kann. Mitte Januar ist dann eher das Problem, dass man komplett nass geschwitzt nach dem Konzert in die eiskalte Nacht muss. Schluss mit dem „Mimimi“, die erste Band ist bereit auf die Bühne zu gehen.
TARAH WHO?
Ob dieser Bandname auch vorausschauend gewählt wurde? Ich bin sicherlich nicht der Einzige unter den gut 900 Zuschauern, der mit der Truppe TARAH WHO? absolut nichts anfangen kann. Eine Mischung aus Alternative, Rock und Grunge kommt recht räudig aus den Boxen, aber der Sound stimmt irgendwie nicht, und das sollte sich auch erst nach dem zweiten Song ändern. Die Mucke von dem Trio wirkt auch irgendwie einfallslos. Als Frontfrau und Gitarristin Tarah G. Carpenter eine paar Worte in hyperschnellem Englisch ans Publikum richtet, reagiert irgendwie kein Zuschauer. Was zu mehreren irritierten Blicken unterhalb den Bandmitgliedern führt. Erst zum Ende des gut 30 Minuten andauernden Sets tauen einige Leute auf und es gibt Beifall.
Mehr gibt es nicht zu berichten, die Songs sind völlig austauschbar und es gibt kaum Platz auf der Bühne, da TARAH WHO? über ihr eigenes Schlagzeug spielen und somit 3 Drumkits auf der Stage stehen.
TARAH WHO?
PRONG
Wie das Leben so manchmal spielt. Als PRONG Anfang der 1990er Jahre auf Ihrem Höhepunkt waren, nahmen sie eine noch recht junge aber aufstrebende Band auf ihre Tourneen mit. Und diese Kapelle war keine geringere als LIFE OF AGONY. Heute revanchieren sich Mina und ihre Mitstreiter, indem sie auf die 30. Geburtstags Tour von „River Runs Red“ das Trio um Tommy Victor mit im Gepäck haben.
PRONG habe ich in vielen Stationen ihrer Karriere erlebt. Vom Headliner Gig vor mehreren 10.000 Menschen auf dem Dynamo Festival in Eindhoven 1994 bis zu einem Konzert vor vielleicht 100 Nasen im Hafenklang in Hamburg vor 6 Jahren. Und obwohl PRONG in all den Jahren immer zu ihrem Sound gestanden, und in den letzten 10 Jahren durch die Bank starke Alben veröffentlicht haben, ist ihnen ein erneuter Sprung in die vorderen Reihen des Metal verwehrt geblieben.
Heute spielen sie vor einer ordentlichen Menge Leute, und die sind auch alle in einem Alter, dass sie die „Hits“ aus den alten Zeiten kennen. „Test“, „Broken Piece“, „Another Worldly Device“, „Whos Fist Is This Anyway?“ und (im Zugabenteil!) „Snap Your Fingers, Snap Your Neck“, allein 5 Songs vom Über Album „Cleansing“ aus dem Jahre 1994. Wahnsinn, das Publikum ist textsicher und feiert die Stücke gnadenlos ab. Tommy Victor grinst immer wieder über beide Ohren und bedankt sich überschwänglich bei den anwesenden Zuschauern. Den Bassisten Jason Christopher umgibt ein würziger-süßlicher Geruch, nach dem Konzert steht er neben dem Merchstand und wirkt leicht derangiert. Immerhin erinnert er sich daran dass es da Fotografen gab, und ich wohl auch irgendwie dazu gehörte. Sehr geschmackssicher ist allerdings sein Bühnenoutfit, trägt er doch ein klassisches St. Pauli Tanktop mit dem obligatorischen Totenkopf.
Weitere Knaller von der Setlist: „Beg To Differ“, „Unconditional“, „Rude Awakening“, lediglich „Cut And Dry“ hat noch keine 20 Jahre auf dem Buckel.
Ein fantastischer Auftritt neigt sich dem Ende entgegen, PRONG überzeugen mit viel Spielfreude und einer echten Best Of Song Auswahl.
PRONG
LIFE OF AGONY
Mein letztes zusammentreffen mit LIFE OF AGONY war 2017 auf dem Summer Breeze. Der Auftritt war damals, gelinde gesagt, eine Katastrophe. Die Band musste am frühen Nachmittag ran, fand das wohl gar nicht okay, und leierte die ersten Songs wirklich nur runter. Damit vergraulten sie die eh nur spärlich anwesenden Zuschauer, woraufhin gerade Mina Caputo absolut keinen Bock mehr hatte. Der Auftritt wurde früher als geplant beendet, und im Nachgang gab es zwischen Band und Betreuungspersonal hitzige Wortgefechte.
Meine totale Vorfreude über das Abspielen des kompletten „River Runs Red“ Albums ging mit dem Wunschgedanken einher, dass die Band, und Mina im speziellen, auch gut drauf ist und Bock auf den Abend hat.
Um das vorwegzunehmen: LIFE OF AGONY legten eine Spielfreude an den Tag wie ich es schon länger nicht erlebt habe. Gitarrist Joey Z. ist schon immer ein Aktivposten, rennt sich die Füße wund und feuert das Publikum an. Als Gegenstück dazu Bassist Alan Robert, der eher gemächlich seine Runden dreht. Die „neue“ Schlagzeugerin Veronica Bellino verdrischt ihre Felle recht emotionslos, ab und an sieht man sie hinter ihrer Schießbude lächeln. Und Mina? Schafft den astreinen Spagat zwischen Melancholie und Wut, die beiden Faktoren, die auf „River Runs Red“ auch eine große Rolle spielen. Mal in sich gekehrt, mal extrovertiert. Zwischen den Stücken ein paar freundliche Worte ans Publikum, und immer wieder ein kleines, schelmisches Lachen.
Ich als Zuschauer merke, dass das authentisch ist, und sich die Band darüber bewusst ist, einen Klassiker in der Metal Welt hinterlassen zu haben. Und das sie privilegiert sind, dies nach 30 Jahren immer noch spielen zu können.
Das gesamte Album wird von vorne bis hinten durchgezockt, inklusive der drei Hörspiele „Monday“, „Thursday“ und „Friday“. Das Publikum geht gut mit und versucht in den Refrains die PA niederzubrüllen. Erstaunlicherweise bilden sich keine echten Mosh Pits. Viele Leute sind zwar in Bewegung, aber jeder macht hier mehr so sein eigenes Ding. Die Stimmung vor und auf der Bühne ist ausgelassen, was dazu führt, das Joey Z. seine Frontfrau zweimal übelst erschreckt. Als Mina gerade in ihrem Gesangspart vertieft ist, schleicht er sich von der Seite an und ruft irgendwas in ihr Ohr. Aber sie nimmt es mit Humor, auch wenn ihr der Schrecken für eine Sekunde ins Gesicht geschrieben steht.
Da LIFE OF AGONY mit dem Geburtstagsalbum keine 90 Minuten vollbekommen, geht es nach einem kurzen Intro („Plexiglass Gate“) mit einem kleinen Best Of weiter. Von der Scheibe „Ugly“ kommen dann „Other Side Of The River“, „Let’s Pretend“, „Lost At 22“ und „I Regret“, und die vier Stücke werden lediglich vom neueren Song „Scars“ unterbrochen. Interessanterweise gibt es in dem Song „Let’s Pretend“ die Textzeile
„Mommy, it’s me, it’s Keith“
was ja heutzutage nicht mehr so ganz korrekt ist. Und tatsächlich lässt Mina den zweiten Teil der Stelle mit der Erwähnung des eigenen Namen weg.
Als krönenden Abschluss gibt es dann noch „Weeds“, bevor die Band ihre Fans in die kalte Nacht entlässt.
Trotz der doch recht schwachen ersten Vorband ein absolut perfekter Abend, um das wegweisenden Album „River Runs Red“ entsprechend zu huldigen.
Der Sound war erste Sahne, PRONG waren genau der richtige Anheizer und LIFE OF AGONY hatten richtig Bock. So muss das sein!