Das neue Album-Cover „Terrasite“ von CATTLE DECAPITATION sorgt bereits seit Jahresbeginn für Kontroversen, und das nicht, weil mich die Kreatur auf den ersten Blick an die Prawns aus dem Sci-Fi-Film „District 9“ erinnert. Da das betreffende Bild im Vorfeld geleakt wurde, brachte die Band in Zugzwang es zusammen mit der Geschichte hinter dem Cover, dem Konzept und der Trackliste des Albums vorzeitig offiziell zu enthüllen! Daraus entstanden viele grundsätzliche Diskussionen über das Entstehungsprozedere eines neuen Albums im Verbund mit den heiklen Zeitplänen. Die damit verbundene Kehrseite der Medaille ist der geplatzte Überraschungsmoment, welcher durch die unautorisierte Vorveröffentlichung eiskalt zerstört wird und so einen ziemlich schädlichen Nachhall verursachen kann, ganz zu schweigen von dem schrecklichen Feedback. Nach der Abhandlung der so genannten Ausrottung des menschlichen Abschaums im „Death Atlas“ vor vier Jahren haben die Aliens bis heute noch nicht die Macht übernommen! Als menschliche Individuen verwandeln wir uns geschickt in das einzige Lebewesen auf der Erde, das unzerstörbar ist: eine Kakerlake! Schon verrückt, als parasitärer Erdfresser, genannt Terrasit zu existieren. Das sind keine Katzenfutter fressenden insektoiden Aliens, sondern insektoide Menschen, die die Erde verschlingen! Eigentlich sollten Aliens die Erde in Ordnung bringen, aber in der Realität müssen wir unseren Mist selbst aus der Welt schaffen!
„Terrasite“ enthält ähnlich strukturierte Rezepturen musikalischer Experimente wie bei „Death Atlas“. Dabei ist CATTLE DECAPITATION ein fortschrittlicher Quantensprung mit dieser aktuellen Veröffentlichung gelungen und stellt gleichzeitig den weiteren Nährboden ihres eigenen Genres, dem extremen „Herdgrim Metal“ da. Stilikone und Frontmann Travis Ryan ist weiterhin unbeirrt auf dem besten Wege sein Gesangsorgan so zu perfektionieren, das es in einer abgeschlossenen Doktorarbeit mündet oder auf direktem Weg nach Oslo zur Nobelpreisverleihung geht. Es ist immer noch verrückt zu glauben, dass all diese extrem unterschiedlichen Stile von ein und demselben Sänger stammen, welcher mit jeder Veröffentlichung seine eigenen Grenzen immer wieder überschreitet. Diese wahnsinnige stimmliche Variabilität zieht sich durch alle Songs und bringt erschütternde Dimensionen der Instrumentierung und Texturen mit sich, die in der weiten Welt der jüngeren Extrem-Metal-Bands und Genres heutzutage oft gesucht, kopiert und ausprobiert werden. Gut gemacht, Vocal Godfather!
Mit dem filmmusik-ähnlichen Intro von „Terrasitic Adaptation“ erleben wir eine langsame Wiedergeburt, bei der die Terrasiten aus ihren Ootheken an die Oberfläche strömen. Ein ekelhafter Anblick, wenn man bedenkt, das diese arme, groteske Laune der Natur millionenfach auftaucht, während die Musik die bevorstehende Katastrophe einläutet. Bei dieser zweiundfünfzig minütigen Zeitmaschine hat die Vorsicht oberste Priorität. Ohne Netz und doppelten Boden herrscht absolute Anschnallpflicht. Diejenigen, die mit den Jungs von der US-Westküste bestens vertraut sind, werden nur zu gut wissen, was einen erwartet. Ein brodelnder Kessel randvoll gefüllt mit brutaler, gesichtsschmelzender Blastbeatüberdosis, melodischen Riffs und unheimlichen Growls, Gutturals und Vocals. Bei dem mehr als bedrohlichen Untergangsszenario beherrschen harmonierende Growls und Gesangswechsel den Breakdown-Verlauf, bei dem das Soli eine Signalwirkung sendet. Einige reichhaltige Melodien und ein Chorus runden den bitterbösen Geschmack.
„Terrasite“ ist wilder als jede Achterbahnfahrt, die man jemals auf diesem Planeten vorfinden wird. Purer Adrenalinkick durchfährt den Körper und die Angst vor dem, was noch kommt, hält einen fest umklammert. CATTLE DECAPITATION werfen einen in den Dreck und lassen unsere eigene Nachkommen „We Eat Our Young!“ vertilgen. Eine schmackhafte Nummer, bei der spannende Riffs und knackige Breakdowns zum gemeinsamen headbangen und moshen einlädt. Großartige Synkopierung, Progression und Technik vereint „Scourge Of The Offspring“. Verstärkt durch den Gesang und die Melodie entsteht ein anfängliches Chaos, das später in Melancholie umschlägt. Mit der eindringlichen Textzeile „Was für ein wunderbares Leben, das gewesen wäre……wir sind so viele…wir müssen sterben!“- Diese gefühllose Erkenntnis wird einem schonungslos als Spiegel vorgehalten.
Auch „The Insignificants“ erstickt jeglichen Hoffnungsschimmer auf jegliche Art von Rettung oder gar eine Rückkehr zur gewohnten Weltordnung, Die Kriegsrufe beginnen zusammen mit langsamen blacklastigen Synths, welche sich zu einem emotionalen Höhepunkt auftürmen und dabei immer und immer wieder „A Human Is An Animal“ erschallt. Nach dem Erreichen des Siedepunktes explodiert mit einem langen Growl und sirenenartigen Gitarren die zerstörerische Detonation in einem Creepypasta-Szenario. Dabei versprüht jedes einzelne Instrument durchweg die angestaute Verzweiflung und Wut in einem Guss. Die Fahrt in die aussichtslose Zukunft geht weiter mit „The World Will Go On Without You!“ bei dem die Genres fließend zusammengewürfelt wurden. Technischen Riffs prallen auf eine akrobatische Meisterleistung von David McGraw an seinem Schlagzeug, bevor alles noch einmal emotional wird. Das Ganze endet in einem epischen Finale gespickt mit unheimlichen Gutturals und schnellen Tempowechseln.
„A Photic Doom“ wirft das Licht auf die Massenvernichtung und strahlt direkt durch unser Innerstes: „…Desecration, …No Sign Of Life…“ und noch mehr Creepypasta-Vibes. Zum Ende hin nimmt das Album noch mal eine düstere Wendung. Die langsame, aber kraftvolle und dunkle Melodie beginnt: „Welcome To A New World…“ und der Fluch des Abgrunds entfaltet sich. Reichlich Gesangswechsel und Anarchie nisten sich ein und rhythmische Akzente werden bewusst deplatziert, um ein verrückt klingendes Level zu erreichen. „Nothing Is The Same It Was Before“ und der Gesang „Without Penitence!“ offenbart das menschliche Fehlverhalten schonungslos. „…The Time To Die Is Now!“ Die völlige Verzweiflung über die Umweltmutation, der Krieg zur Rettung von Mutter Erde summiert sich in einem der härtesten Tracks des Albums „Solastalgia“ Eine Kakophonie aus Blastbeats, Riffs und Kriegsrufe setzt sich fort und es werden wieder Black- und Prog-Elemente eingebaut.
Dieses Album endet auch dramaturgisch lang. Das Piano-Intro und die Synthesizers lassen die Ungeheuerlichkeit des Endes spüren. Alle Instrumente setzen ein und das Tempo bleibt langsam. Dieses konzipierte Tageslicht-Terror-Gemetzel lässt einen mit Emotionen, Sehnsucht und Traurigkeit durchsetzt zurück, was durch das sanfte, lange Growlen unterstrichen wird, bevor das Tempo brutal ansteigt. Eine Atempause treibt einen direkt in die offenen Arme der Leere, wo inmitten des Pandämoniums sich Hoffnungslosigkeit schwer an einem zuschaffen macht. Auch das Nichts und die Verlassenheit werden von den Clean Vocals angetrieben, während die herzzerreißende Melodie und die Synths den Schlussakkord bilden, während sich die herzzerreißende Melodie und die Synths aufbauen und dich alles in Frage stellen lassen. Nachdem der Song ausklingt und einem verloren in diesem erdrückenden Nichts zurücklässt, fühlt man sich wert- und hoffnungslos.