Die Frage ob eine Band nach dem Tod eines wichtigen Mitglieds unter demselben Namen weitermachen sollte stellt sich häufig und lange. Eine eindeutige Antwort darauf lässt sich nicht leicht finden da zu viele Blickwinkel berücksichtigt werden müssen. Zum Einen sind da die Emotionen der Familie und der Musiker die oft enge Freunde sind und natürlich die emotionale Bindung der Fans zur Musik, die untrennbar mit den einzelnen Musikern verbunden ist. Für mich persönlich fühlt es sich besonders im Fall eines Sängers oft so an, als würde plötzlich jemand anderes in meinem persönlichen Kopfkino die Stimme übernehmen, wenn dieser durch jemand anders ersetzt wird – halt falsch! Ich persönlich ertrage zum Beispiel nicht, dass BRUCE WILLIS im dritten Teil von Stirb langsam plötzlich eine andere Synchronstimme hat und auf einmal wie JOHN TRAVOLTA klingt. Kann ich mir nicht ansehen. Bei Musik empfinde ich es noch schwieriger.
Es gibt viele Beispiele aus der Metal-Szene, bei denen die prägenden Köpfe einer Band verstarben und die Bands sich entweder auflösten oder unter demselben Namen weitermachten. Exemplarisch ist hierbei für mich und sicher für viele andere auch, PETER STEELE von TYPE O´ NEGATIVE der 2010 verstarb. Zu meiner Erleichterung entschieden sich TYPE O NEGATIVE damals nach seinem Tod nicht weiterzumachen und lösten sich auf. Bei dem Gedanken und den Gerüchten, dass sich jetzt die restlichen Gründungsmitglieder eine Reunion vorstellen können bekomme ich eine unangenehme Gänsehaut. Zu tief sind meine persönlichen Erinnerungen mit den Songs verknüpft und STEELEs Stimme, die für einen sehr bewegten und bestimmten Lebensabschnitt für mich steht. Weshalb eine Rückkehr der Band für mich schon fast ein absolutes emotionales NO-GO darstellt, sollte es dann wirklich dazu kommen. Als weiteres Beispiel ist hier sicher LINKIN PARK zu nennen, da hier das Thema gerade topaktuell ist. Nach dem Tod ihres Sängers CHESTER BENNINGTON 2017 legten sie eine lange Pause ein und entschieden sich kürzlich für eine Reunion. Gerade dieser Fall zeigt, wie emotional die Diskussionen um das Thema von allen Beteiligten geführt werden, egal, ob man pro oder contra ist. Vor allem dann, wenn ein weiterer Blickwinkel dazukommt, nämlich die finanziellen Interessen der Musiker und selbstverständlich auch der Musikindustrie. Es ist also ein hoch emotionales, moralisches und sehr tiefgründiges Thema. Ähnlich wie bei den aufgeführten Beispielen stellt sich diese Frage bei THE BLACK DAHLIA MURDER besonders intensiv, da TREVOR STRND, der charismatische Frontmann und Mitbegründer der Band, eine zentrale Rolle in der Identität der Band gespielt hat. STRNDs Tod im Mai 2022 hat eine Lücke hinterlassen, die nicht nur musikalisch schwer zu füllen ist! Aber wie ist die Frage nun zu beantworten? Nun, zunächst einmal ist sicher, dass dies von Fall zu Fall einzeln bewertet werden muss. Für mich habe ich jedoch einen schönen Denkansatz zu diesem Thema in dem Podcast GEAR OF THE DARK gefunden, der genau diese Thematik behandelt, ausgelöst durch die oben erwähnte LINKIN PARK-Reunion. (Danke und Grüße gehen an SIMON und HANNO für die Inspiration! Und wer würde sich nicht mal gerne ein BRATENSOSSE-WETTSAUFEN anschauen? Wer von unseren Lesern mehr wissen möchte, sollte sich den Podcast der beiden Jungs anhören – ich mache hier mal kostenlose Werbung.)
Bei aller verständlicher Emotionalität wird hier ein wichtiger Punkt angesprochen: Wer möchte den verbleibenden Bandmitgliedern das Recht nehmen, ihre eigene Legacy weiterzuführen? Sie haben schließlich ihre eigene Geschichte zu erzählen, besonders, wenn es sich um Gründungsmitglieder handelt. Wer bin ich also, darüber zu urteilen, was in diesem Fall richtig oder falsch ist? Geschweige denn zu wissen, was TREVOR gewollt hätte. Einfach haben es sich die verbleibenden Mitglieder dabei nicht gemacht, wie BRIAN ESCHBACH (Lead Vocals 2022–present, Rhythm Guitar, Backing Vocals 2001–2022) sagt: „Before the tragedy, no one ever thought this band was going to exist without Trevor.“ Also stellte sich für die Band die Frage: Schließt man mit der Legacy von THE BLACK DAHLIA MURDER ab, die zu einer der beliebtesten Death-Metal-Bands der letzten 20 Jahre gehört, oder setzt man den gemeinsamen Weg ohne ihren verstorbenen Bruder fort? Wie bekannt, entschied die Band sich dafür, ein neues Kapitel in der Bandgeschichte aufzuschlagen. Dabei war die Mission der Band klar. Dazu sagt ESCHBACH: „We spent so much time on the road together that everyone understands the mission statement. We don’t really need to talk about it. We just need to make great music and try to make people happy playing it.“
Das neue Kapitel, das die Band aufgeschlagen hat, hört auf den Namen „Servitude“ und der neu erschienene Longplayer ist 32:49 Minuten lang und 10 Lieder stark. Was die Länge angeht, hat man sich erst einmal für eine eher kurze Episode entschieden. Ein wenig mehr Spielzeit hätte ich mir allerdings gewünscht. Aber viel wichtiger ist die Qualität des Albums und dessen Botschaft. THE BLACK DAHLIA MURDER senden eine starke: und diese ist, dass die Band auch ohne TREVOR in der Lage ist, ein gutes Album abzuliefern. BRIAN ESCHBACH, der nun vom Gitarristen zum Frontmann gewechselt ist, liefert meiner Meinung nach mehr als ab, auch wenn er mit den hohen Screams von TREVOR nicht mithalten kann – es aber zum Glück auch nicht versucht. Mit der Rückkehr von RYAN KNIGHT an der Gitarre hat die Band ebenfalls vieles richtig gemacht. TBDM ist und bleibt – und das ist die wichtigste Nachricht des Tages – authentisch. „Servitude“ merkt man in jeder Minute an, dass hier nicht einfach schnell etwas zusammengestrickt wurde. Stattdessen wurde sehr behutsam darauf geachtet das Andenken an TREVOR und die Band-Legacy zu bewahren. Der typische Melo-Death-Sound knallt energiegeladen durch die Boxen, und Tracks wie die zweite Nummer des Albums, „Panic Hysteric“, haben für mich absolutes Klassiker-Potenzial – der Song walzt alles nieder und besticht mit einem Gitarrensolo, das zu einem der frühen Höhepunkte der Scheibe wird. Der darauffolgende Track, „Aftermath“, übernimmt das hohe Tempo und hätte problemlos auch auf dem großartigen Album „Verminous“ seinen Platz finden können. Für mich markiert jedoch „Cursed Creator“ den Höhepunkt. Hier zeigt sich die absolute Essenz von TBDM: Wucht, gepaart mit einem großartigen Gespür für Melodien. An dieser Stelle sollte man die Rhythmusgruppe erwähnen, die es meisterhaft versteht, der Musik ihren eigenen Stempel aufzudrücken. ALAN CASSIDY und MAX LAVELLE stechen mit ihrer Arbeit hier besonders hervor. Ein weiteres Stück, das in meinen Augen absolutes Potenzial hat, ein Klassiker der Band zu werden.
THE BLACK DAHLIA MURDER können es also auch ohne TREVOR zumindenst im Studio, eine richtige Herausvorderung wird noch sein, diesen auch Live zu ersetzen. Denn seine Bühnenpräsenz und Persönlichkeit wird für immer fehlen. Hier wird es sich zeigen, ob die Band in der Lage ist auch dieses zu kompensieren. Damit die Legacy weiter gehen kann, denn eins ist umumstritten für mich, gerade die Live Qualitäten von TBDM waren ein großer Teil davon. Aber macht euch euer eigenes Bild und schaut euch schon mal die Single an, als Warnung geht voraus das aus meiner Sicht ausgerechnet, der schwächste Tilel der Platte mit „Mammoth’s Hand“ ausgekoppelt worden ist und nur leicht andeutet welche Wucht die neue Scheibe hat.