JETHRO TULL waren ja in den letzten Jahren im Grunde genommen ein Solo-Ding vom charismatischen Frontmann Ian Anderson. Dass dabei in jüngerer Vergangenheit immer noch neue, hochwertige Alben heraussprangen, ist dem mittlerweile auch schon fast 77-jährigen nicht hoch genug anzurechnen, waren „The Zealot Gene“ (2022) und „Rökflöte“ (2023) vom etwas abgenudelten Begriff eines Alterswerks nicht nur weit entfernt, sondern richtig starke Scheiben in der großen JT-Discographie, wenn auch etwas weniger im Folk behaftet als in der frühen, erfolgreichsten Ära. Letztes Jahr erfuhr zudem das „Christmas Album“ durch „Fresh Snow At Christmas“ eine liebevolle Wiederveröffentlichung mit einem Atmos-Mix durch Bruce Soord von THE PINEAPPLE THIEF. Warum ich das erwähne? Nun, auch für das neue Album „Curious Ruminant“ gibt es eine Special Edition mit Blu-ray, auf der ein Atmos-Mix durch Bruce Soord zu hören ist.
Ok, der charismatische Musiker und Sänger mit dem Sound seiner Querflöte ist ein bekanntlich neugieriger Mensch, der immer noch viel zu sagen hat in seinen Texten, was dann den Titel „Curious Ruminant“, also neugieriger Wiederkäuer, augenzwinkernd sinnig macht. Musikalisch setzt er das mit dem liebgewonnenen Mix aus Folk, Prog und Rock um, der im Gegensatz zu den letzten beiden Platten wieder ganz typisch und traditionell nach einem frühen Tull-Album klingt. Nur wenige komplizierte Abfolgen oder Breaks stören den beschwingten, mit tollen Melodien versehenen und folkigen Hörgenuss wie etwa beim Opener „Puppet And The Puppet Master“, dem Titelsong oder der Single „The Tipu House“ (siehe Video) bewiesen wird. Und ich höre dieser sanften, schon etwas brüchiger gewordenen Stimme Andersons sehr gerne zu. Diesem Album zu lauschen ist für mich irgendwie wie nach einem kalten Wintertag nach Hause zu kommen, wo ein flackerndes Feuer im Kamin und ein Glas Whiskey auf mich warten. Dabei wurde das Album, ebenfalls anders als die letzten beiden genannten Tull-Scheiben, meist sogar im Band-Verbund aufgenommen. Zu den Musikern gehören der ehemalige Keyboarder Andrew Giddings und der Schlagzeuger James Duncan sowie die aktuellen Bandmitglieder David Goodier, John O’Hara, Scott Hammond und der Gitarrist Jack Clark, der sein Aufnahmedebüt mit der Band gibt. So sind neben den obligatorischen Flöten-und Gitarrentönen auch mal ein Akkordeon, Piano, Mandoline oder die sogenannte Apfelsinen-Kiste (Cajon) zu hören. Und diese Klänge stammen eben nicht aus der Retorte, sondern werden durch echte Musiker aus Fleisch und Blut gespielt! Traditionell eben, genau wie die Musik selbst. Lediglich mit dem fast siebzehnminütigen, abwechslungsreichen Epos „Drink From The Same Well“ bekommen die Prog-Anteile einen etwas höheren Stellenwert. Ganz starke Vorstellung von Ian Anderson und seinen Mitmusikern, die den Namen JETHRO TULL wieder voll verdient und alte wie neue Fans begeistern wird!