Es gibt bestimmte Worte im Leben, wo sich im Kopf automatisch eine Definitionsreihe abspult. Dabei greift man oft weit in die Vergangenheit zurück. Bei dem Begriff Hexer fallen einem direkt Edgar Wallaces schwarz-weiß Klassiker ein, wie „Der Hexer“ von 1964 oder die zweite Folge des Groschenromanhelden und Geisterjäger John Sinclair „Die Nacht des Hexers“, welche ein paar Jahre später erschienen ist. In der Welt des Metals haben sich aktuell zwei Bands HEXER getauft. Einmal die aktive US-Black Thrash Formation aus Philadelphia in Pennsylvania und ein Duo aus dem östlichen Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen. In dieser Rezension wird das dritte Album „Abyssal“ der deutschen Sludge Doom Einheit genauer unter die Lupe genommen.
In den Anfangsjahren noch zu fünft vereint, ist nach einigen Besetzungswechseln HEXER aus der weltweiten Pandemie nun als Duo hervorgegangen. Die beiden Gründungsmitglieder Marvin Giehr (Gitarre & Gesang) und Melvin Cieslar (Schlagzeug & Percussion) führen also nun den eigenen heraufbeschworenen Spirit fort. Genauso wie beim 2020 erschienenen „Realm of the Feathered Serpent“ Album sind auf „Abyssal“ insgesamt sechs Tracks vorzufinden, die jeweils oberhalb der fünfminütigen Marke liegen. Schnell stellt sich die Frage, ob dieses erschaffene Zeitfenster auch mit ausreichend inhaltlicher Qualität gefüllt worden ist.
„Katarakt“ spült eine aufwühlende schwere Variante durch die Kanäle, welche sich direkt zu Beginn ins Getümmel stürzt. Der Mittelpart ist geprägt von treibenden Sphären im düsteren Gothic-Style mit einer eingebauten Bassline. Ein eher gewöhnungsbedürftiger Beginn macht den Auftakt. Bei „Bathyskaph“ ist ein Befreiungsakt aus einem sludgelastigen Gefrickeldickicht. Mit rauchigen Gesangseinlagen setzt Marvin Giehr eine kräftige Zeichen, die in wüste Beschimpfungen übergeht. Eine augenscheinliche aufgebaute Zielstrebigkeit, welche kurz vorm Erreichen der Ziellinie zu verrecken droht. Auch die hysterisch klingenden Samples fühlen sich eher autark an, als dass sie zum Gelingen erfolgreich beisteuern. Bislang versperrt noch eine dicke graue Nebelwand die Zugangspforte zu dieser eigenwilligen Interpretation des Sludge Doom Metals.
Vielleicht ändert es sich grundlegend bei „Sea of Molten Spirits“. Ein Mix aus einer modernen psychedelischen Retrolandschaft eröffnet den Reigen, welcher als ein Spielball zwischen rasenden Wutanfällen und akustischen Wechselspielen hin und her geschleudert wird. Man merkt schon, dass HEXER bemüht sind, eine Marschrichtung vorzugeben, doch Track Nummer drei hat nach den knapp acht Minuten nur ansatzweise etwas Licht ins Dunkel gebracht. Etwas mehr eigene Freude hingegen gibt es bei „A Torch in the Sky“ zu vermelden. Das Zusammenspiel zwischen Vokals und der Instrumentenfront stimmt hier zum ersten Mal und der Atmosphäre wird in diesem Song Tür und Tor geöffnet. Zeitweise zeichnet sich die Bridge im angenehmen Begleitmodus aus. Viele gemäßigte Ansätze im Tempobereich, die sich zu einem ersten Hinhörer entwickeln.
Wenn man denkt, dass das Duo spätestens zu diesem Zeitpunkt die berühmte Kurve bekommen hat, wird man bei „Abysmal Rites“ eines Besseren belehrt. Diese Nummer hat sich den Retrohut aufgesetzt und springt wie ein von einer Jagdgesellschaft gehetztes Kaninchen durch morgentliche Wiesen und Wälder. Nach diesem ungreifbaren Ritt ertönen beim finalen Abschluss zum ersten Mal die Glocken der Verdammnis. „Jaws of Time“ ist wohl der Track, bei dem sich die Band drauf besinnt, dass er bei ihnen in der Kategorisierung des Doom Metals mit aufgeführt ist. Doch dieses schleppende Genre kommt mit der Ausführung nicht durch das Reinheitsgebot, denn der Sludge grätscht brutal elegant dazwischen und würde im Profisport mit einem Platzverweis des Feldes verwiesen werden. Anstatt dass sich am Ende die Nebelwand verzogen und die bereits erwähnte Zugangspforte freigegeben hat, fischt man zurückgelassen in trüben Gewässern.