Wenn eine Band nach langer Abwesenheit zurück auf die Bildfläche kommt, die mit Alben wie „Master Of Disguise“ (1985) und „After The Fall From Grace“ (1986) sowie insbesondere mit der Mini-LP „The Dominatress“ (1983) Speed Metal – Geschichte geschrieben haben, sind die Erwartungen natürlich hoch. Doch die Zeit ist nicht stehengeblieben, 36 Jahre nach der letzten Veröffentlichung („Ride Into The Night“ EP, 1987), war es klar, dass die Band nicht mehr so klingen kann wie damals. Wo also geht die Reise hin?
Erst einmal kurz zum Personellen: Außer Bandleader Christian Logue, der hier an der Gitarre zu hören ist, handelt es sich um komplett neue Leute, wie es auch zu erwarten war, denn bei den wenigen Live-Auftritten war von dem 80er-Line-Up auch schon nur Christian dabei. Neu am Start sind Gabriel Colon (Gesang), Marcus Dotta (Drums) und Fabio Carito (Bass). Sänger Gabriel kennt man vielleicht von CULPRIT, wo er seit 2019 singt, außerdem ist er noch bei FAST TAKER und seit letztem Jahr auch bei LYNCH MOB aktiv. Die anderen Musiker sind noch nicht überregional in Erscheinung getreten. Auffallend ist, dass Christian´s Musiker allesamt aus Südamerika stammen.
Nun aber zur Musik. Natürlich muss man sich vom Speed Metal der 80er Jahre frei machen, für die die Band jahrzehntelang stand und steht. SAVAGE GRACE klingen 2023 neuen Speed Metal – Bands nicht unähnlich, die ihrerseits mit Sicherheit von ihnen selbst beeinflusst wurden. Bands wie ENFORCER, RAM, RIOT CITY, AMBUSH, frühen SKULL FIST oder frühen STALLION sind allesamt stark von JUDAS PRIEST beeinflusst und genau diesen Einfluss hört man auch auf „Sign Of The Cross“. Sänger Gabriel Colon klingt manchmal wie ein junger Rob Halford und auch so manche Gitarrenmelodien erinnern an die Engländer. Nun gibt es natürlich schlechtere Einflüsse, allerdings hat man sich den Sound um Tipton & Downing etwas zu deutlich auf die Fahnen geschrieben.
SAVAGE GRACE sind immer dann am stärksten, wenn sie eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit knüpfen und den Speed Metal aufleben lassen wie beim schnellen Opener „Barbarians At The Gate“. Mit seinen Melodien und Hooklines bleibt der Song gleich im Ohr. Auch der Midtempo-Track „Rendezvous“ mit seinem eingängigen Refrain weiß zu überzeugen, der sich schnell als Ohrwurm entpuppt, genau wie der Titeltrack, der in eine ähnliche Kerbe haut. Auch das rockige „Automoton“ kann auf der Haben-Seite verbucht werden, allerdings klingen die Vocals viel zu sehr nach Rob Halford. Nur leider sind auch Songs auf der Platte gelandet, die weniger gut passen. Das sleazige „Stealin´ My Heart Away“ wirkt mit seinem schiefen und disharmonischen Solo deplatziert, „Land Beyond The Walls“ plätschert so vor sich hin. „Star Crossed Lovers“ und „Branded“ kommen erschreckend energielos daher.
Ärgerlich ist, dass die CD-Käufer gegenüber den Vinyl-Liebhabern mit „Helsinki Nights“ einen (Live-) Bonus-Track bekommen, der meines Wissens nur hier zu bekommen ist. Das Vinyl ist 10 € teurer als die CD, da muss man die Schallplattenkäufer nicht derart benachteiligen. Ebenso fragwürdig ist das Cover Artwork, das überladen wirkt und dessen Konzept ich nicht nachvollziehen kann.
Insgesamt ein zweischneidiges Schwert. Das Album hat seine Momente, es fehlt jedoch die Dynamik und etwas mehr Eigenständigkeit wäre schön gewesen. Mit den alten SAVAGE GRACE hat das Album kaum etwas zu tun. Wenn man das Werk jedoch losgelöst davon betrachtet, hat man ein solides Album, das auch nicht viel schlechter ist als die Comeback-Alben anderer US Metal- 80er Jahre – Truppen, die aus der Versenkung zurückgekehrt sind.