NOFX gehen ein letztes Mal auf Tour. Was zunächst als schlechter Scherz aufgenommen wurde, entpuppte sich schon nach kurzer Zeit als bitterer Ernst. Diese Entscheidung wurde von Fat Mike wohl im Alleingang gefällt, solange man den entsprechenden Quellen glauben schenken darf. Nachdem der Rest der Band intervenierte wurde eine große Abschiedstournee sowie mehrere Veröffentlichungen geplant, damit jeder seine finanziellen Schäfchen ins Trockene bringen kann.
Damit die Tour etwas Besonderes wird entschloß man sich im Hause NOFX zum einen, einen Haufen alter (befreundeter) Bands mitzunehmen, und weiterhin jeden Abend drei bestimmten Alben „durchzuspielen“. So zumindest die Ansage. In der Realität sah das aber anders aus, aber dazu später mehr.
Für mich persönlich stellte sich die Frage: Hamburg oder Hannover? Für meine Heimatstadt Hamburg spricht der kurze Weg sowie die Auswahl der Platten die gespielt werden sollen. Allerdings ist das Konzert an einem Donnerstag und mit lediglich zwei Vorbands.
Für Niedersachsens Hauptstadt sprechen der Wochentag (Samstag) und die Tatsache, dass hier 6 Kapellen zum Tanz aufspielen. Allerdings ist der Weg weit und die Auswahl der Scheiben für mich eher suboptimal. Da die Chance auf eine Akkreditierung in Hannover besser ist als in Hamburg, und obendrein zwei Freunde von mir Tickets für Hannover haben, fällt die Entscheidung zu Gunsten von Hannover!
Die Bahnfahrt mit Marcel und Tobias vergeht wie im Flug und zumindest auf dem Hinweg gibt sich die Deutsche Bahn alle Mühe ihr schlechtes Image aufzupolieren (wir kommen pünktlich und planmäßig an!). Im Zug wird auch die Frage erörtert, in wie weit Äpfel Punkrock sind. Aber auch dazu später mehr!
Da das Wetter in Hannover formidabel ist gehen wir zu Fuß zum Kulturzentrum Faust und erreichen die äußerst angenehme Location nach einer knappen halben Stunde.
Auch am Eingang läuft alles wie am Schnürchen. Innen angekommen gibt es ein kühlendes Getränk bevor die ersten Band auf die Bühne geht.
CLOWNS
Aus Melbourne, dem fernen Australien, kommen CLOWNS. Ich bin dann doch erstaunt dass die Kapelle trotz ihres jugendlichen Aussehens schon seit 15 Jahren (!) unterwegs ist. Ansonsten sagte mir die Band im Vorfeld gar nichts. Lediglich dass sie zum Repertoire von Fat Wreck Chords (dem Label von Fat Mike von NOFX) gehören ist mir bewusst. Das Quintett spielt seinen Hardcore sehr punkig und sehr energiegeladen. Das geht dann soweit dass Frontmann Stevie Williams nicht nur am Absperrgitter die Fans in der ersten Reihen ansingt, sondern zum Abschluss auch direkt ins Publikum geht um dort einen amtlichen Moshpit zu entfachen. CLOWNS können mit ihren Songs einen guten Teil des Publikums abholen, und sie liefern eine halbe Stunde ab die sich gewaschen hat. Ein ganz starker Beginn für diesen denkwürdigen Tag!
CLOWNS
THE LAST GANG
Auch THE LAST GANG gehören zum Rooster von Fat Wreck Chords und dürfen sich auf dieser Tour einem größeren Publikum präsentieren. Und ebenso wie die Vorgänger von CLOWNS gehört das Quartett aus Los Angeles zu den eher jüngeren Bands. Durch die Doppel Belastung von Gesang und Gitarre ist Frontfrau Brenna Red an das Mikrofon gebunden, was dem Auftritt ein wenig die Dynamik nimmt. Generell ist der Sound auch etwas melodischer und erinnert des öfteren an RANCID. Es liegt aber wohl auch der energiegeladenen Performance von CLOWNS, dass THE LAST GANG irgendwie nicht richtig in Fahrt kommen. Auch das Publikum ist etwas verhaltener dabei, vielen reicht die Mucke von THE LAST GANG als Hintergrundbeschallung für einen Imbiss, ein kühles Getränk oder in dem ein wenig auf der Rasenfläche liegt und chillt.
THE LAST GANG
NEGATIVE APPROACH
Als ich den Fotograben betrete bekomme ich eine Ansage, die ich schon irgendwie geahnt habe: „Bei der nächsten Band dürft ihr 10 Minuten lang Fotos machen, vergesst die 3 Songs Regel“. Eigentlich darf man immer nur die ersten drei Lieder Fotos machen und subtrahiert sich dann aus dem Fotograben. Da die Stücke von NEGATIVE APPROACH aber nur ganz selten mal die zwei Minuten Laufzeit durchbrechen und eher so zwischen 60 und 90 Sekunden dauern ergibt diese Ansage durchaus Sinn.
NEGATIVE APPROACH gelten gemeinhin als Urväter des Genre Hardcore (zusammen mit MINOR THREAT, BAD BRAINS und BLACK FLAG). Was schon erstaunlich ist, denn die Band existierte damals für ganze zwei Jahre (1981 – 1983) und brachte lediglich eine Demo und eine ganze Scheibe raus (wenn ich mich nicht irre). Das reichte aber aus um eine ganzes Genre loszutreten.
Von der Urbesetzung ist nur noch Frontmann John Brannon übrig. Seit 2006 tingelt man wieder über die Festivals oder macht eine Tour. Oder man supportet eine Band, die es ohne einen selbst wahrscheinlich nicht gegeben hätte. Das ist schon paradox.
An NEGATIVE APPROACH scheiden sich schnell die Geister. 60 Sekunden fieses Geprügel ohne Atempause, John Brannon schreit sich die Lungen aus dem Hals und der Gitarrist Harold Richardson steht die kompletten 30 Minuten mit dem Rücken zum Publikum. Das ist die Ursuppe von Hardcore. Wer gerne melodischen Punkrock hört ist hier fehl am Platz und verlässt fluchtartig den Bereich vor der Bühne. Der Rest genießt diesen Hass Ausbruch.
Ich finde das nach rund 20 Minuten ein wenig zu anstrengend, da keiner von der Band sich auch mal genötigt sieht ein paar Worte ans Publikum oder so zu richten. Die Kommunikation ist eine Einbahnstrasse (von Bühne zu Publikum) und da hat halt nicht jeder Bock drauf.
NEGATIVE APPROACH
SCREAM
Auch SCREAM sind eine jener Kapellen, die in den 80er Jahren den Hardcore oder auch Punkrock weiter voran getrieben haben. Am ehesten kennt man die Band aus Virginia aber wohl daher, dass hier mal für eine kurze Zeit ein gewisser Dave Grohl am Schlagzeug saß.
Die beiden Brüder Peter Stahl (Gesang) und Franz Stahl (Gitarre) sind schon immer die Triebfeder von SCREAM, und im Gegensatz zu NEGATIVE APPROACH veröffentlichte die Truppe 5 Alben, bevor man 1990 die Band auflöste. Die Reunion erfolgte Ende 2009, und im letzten Jahr gab es sogar ein neues Album.
SCREAM spielen eher eine gemäßigte Variante von Hardcore, der in weiten Teilen dann auch mehr wie Punkrock klingt. Das ist nach dem Hassbatzen vorher eine willkommene Abwechslung und das Publikum ist wieder vermehrt am Start. Nach meinem Geschmack fehlt aber das gewisse Extra in den Songs. Die Strukturen wieder holen sich, keine spannenden Wendungen, und die melodischen Parts klingen alle wie aufgewärmt. Stark hingegen die Performance von Frontmann Peter Stahl. Der nutzt seine Freiheiten eindrucksvoll, geht komplett mit und unterstreicht mit seiner Mimik und seinem Ausdruckstanz das jeweilige Lied. Beeindruckend. Das komplette Gegenteil ist der coole Ruhepol Skeeter Thompson am Bass (ebenfalls ein Originalmitglied!). Hier wird der Tieftöner mit einer Gelassenheit bearbeitet die mächtig Eindruck hinterlässt.
Ansonsten bleibt nicht viel zu sagen, SCREAM kommen, spielen und gehen wieder.
SCREAM
CIRCLE JERKS
Auch CIRCLE JERKS aus Kalifornien gelten als einer der Urväter wenn es um das Genre Hardcore bzw. Punkrock geht. Und auch bei Ihnen gab es ein ständiges Auf und Ab in der Bandgeschichte, inklusive Trennung, Reunion, erneute Trennung, Streit zwischen den Mitgliedern undsoweiter.
Frontmann Keith Morris hat Redebedarf, nach dem ersten Song direkt erstmal alle Mitmusiker vorzustellen habe ich auch noch nicht erlebt. Es geht aber so weiter, praktisch nach jedem Lied philosophiert er über Gott und die Welt, beziehungsweise in unserem Fall über den Crêpes Stand auf der andere Seite oder andere Sachen. Leider vernuschelt er vieles, so dass man kaum versteht worüber er denn spricht.
Auch bei den CIRCLE JERKS gehen die Songs selten länger als 2 Minuten, so dass auch wieder die 10 Minuten Regel für uns Fotografen greift. Unter diesem Aspekt hätten die Herren auch locker 5 Tracks mehr spielen können, aber Herr Morris möchte gerne reden (siehe oben). Das führt leider auch dazu dass die immer wieder aufkeimende Stimmung im Publikum verebbt. Das ist etwas schade, denn viele der Anwesenden sind mit den Hits der CIRCLE JERKS vertraut und feiern die Band ordentlich ab. Aber auch so gibt es an die 20 Stücke Hardcore Geballer der frühen 80er Jahre und die Stimmung ist langsam da, wo sie für den Headliner sein sollte.
CIRCLE JERKS
NOFX
So langsam kommt der große Moment, auf den sich alle der 8.000 Zuschauer freuen. Aber vor dem man auch ein wenig Traurigkeit verspürt, denn dies soll tatsächlich eines der letzten Konzerte von NOFX in Europa sein. Die Umbaupause jetzt dauert extrem lang, im Vergleich zu den Change Over vorher die innerhalb von 10 Minuten fertig waren. Fast 40 Minuten vergehen bevor das Intro „Time Warp“ aus der ROCKY HORROR PICTURE SHOW ertönt, und Fat Mike und El Hefe die besungenen Schritte durchführen.
Apropos El Hefe: der Gitarrist und Trompeter fehlte auf den letzten zwei Konzerten in Hamburg und Kopenhagen, da er ein Angebot bekam in den USA für einen Film mitzuspielen. NOFX spielten die beiden Konzerte trotzdem, mit einem Aushilfsgitarristen und einem Aushilfstrompeter. Das hätte ich schon ziemlich bescheuert gefunden: den Abschiedsgig zu sehen und dass ist noch nicht mal der Original Gitarrist am Start. Das spricht aber auch für die These, dass Fat Mike den Beschluss zur Beendigung der NOFX Aktivitäten im Alleingang gefasst hat. Warum sollte sonst ein Bandmitglied mal eben in die USA jetten nur um eine Komparsenrolle in einem Film oder Serie anzunehmen?
Apropos Äpfel & Punkrock (siehe Einleitung): mein Kumpel Marcel bat mich vor dem Einlass, den ein oder anderen Apfel mit in meinen Kamerarucksack zu verstauen. Daraufhin entstand eine lebhafte Diskussion ob ein Apfel noch Punkrock ist. Als Fat Mike nun nach dem Intro sich den Bass umhängt um dann das Konzert zu starten, hat er einen Apfel in der Hand, an dem er mehr oder minder genüßlich rumkaut. Also darf ich hiermit festhalten: Äpfel sind offiziell Punkrock!
Die drei NOFX Alben, die in Hannover „durchgespielt“ werden sollten, sind „So Long And Thanks For All The Shoes“, „White Trash, Two Heebs And A Bean“ sowie „Wolves In Wolves‘ Clothing!“ Keine dieser Scheiben gehört zu meinen Top 3 Scheiben von NOFX, aber es sickerte schon vorher durch, dass diese Alben (die an jedem Konzertabend wechselten) mehr Schwerpunkte und der Rest die Klassiker sind.
Der Einstieg mit „60%“ und „Stickin‘ In My Eye“ klappt schon mal hervorragend. Ich singe lautlos mit während ich im Fotograben meine Bilder mache. Doch schon am Ende von „Stickin‘ In My Eye“ unterbricht die Band den Song. Was ich nicht mitbekomme: hinter mir im Publikum geht so richtig die Post ab. Es wird gedrängelt, geschubst und ein riesiger Mosh Pit ist entstanden. Die Leute fallen reihenweise auf den Boden und durch das Gedränge gibt es Probleme den Menschen wieder auf die Beine zu helfen. Eine brenzlige Situation, denn niemand möchte hier dass sich irgendwer verletzt. Und so bleiben auch mehrere Leute auf der Bühne stehen, um den Leuten Anweisungen zu geben wo eventuell noch jemand am Boden liegt.
Der Song wird zu Ende gespielt, die Lage ist unübersichtlich, wir Fotografen bleiben im Graben aber lassen die Mitte frei so dass einige Leute von den Security Kollegen aus den ersten Reihen gezogen werden. Sowas habe ich auch schon lange nicht mehr erlebt.
„Murder The Government“ muss ebenfalls unterbrochen werden, ebenso „Bob“. Hier dauert die Pause länger bis wieder alle auf den Beinen sind. Der Song wird erneut angefangen, nur um dann wieder abzubrechen. Und dann wird er auch nicht weiter gespielt.
Erst danach beruhigt sich die Situation etwas und der Auftritt geht seinen geplanten Gang. Es folgt ein wahnwitziger Ritt durch nahezu alle Phasen der sehr langen NOFX Bandgeschichte. „Leave It Alone“, „Six Years On Dope“ oder „I Love You More Than I Hate Me“, eigentlich folgte Hit an Hit. Es ist schon ziemlich unfassbar über was für einen Backkatalog NOFX verfügen und selbst hier noch aus dem Vollem schöpfen können. Aber so fällt natürlich auch immer etwas hinten über, was einem persönlich gefällt.
Obendrauf gibt es natürlich noch den üblichen Entertainment Faktor durch Fat Mike, El Hefe und auch Erik Melvin. Die Gespräche unter sich oder die Kommunikation mit dem Publikum sind und waren schon immer für diverse Lacher gut gewesen. Eine weitere Tradition auf NOFX Konzerten ist das Abreißen von mehreren Nummern in einer bestimmten Zeit. Hier und heute sind es „10 Songs in 8 Minutes“, was bedeutet, dass die Stücke nicht komplett durchgespielt werden. Sie werden aber immer noch so dargeboten, dass man als Fan weiß, welches Lied dies gerade ist. Herrlich.
Karina Denike, die NOFX schon seit langer Zeit (vor allem Live am Keyboard) begleitet, singt das Stück „All Outta Angst“, und bei „Lori Myers“ kommt Brenna Red von THE LAST GANG auf die Bühne um den weiblichen Teil der Lyrics zu singen. Das sorgt für Abwechslung und beide Damen machen ihre Sache richtig gut.
Nach 32 Songs ist dann erstmal Pause angesagt, aber auch hier gehen NOFX ihren eigenen Weg. Das Ganze wird angekündigt als Pinkel- und Kokain Pause, und nicht als das übliche Spiel „wir sind fertig und tun jetzt so als würden wir gehen, aber wir kommen dann doch gleich wieder). Die Pausenmusik wird durch ein Schlagzeugsolo unterbrochen, offenbar handelt es sich um die Tochter von Schlagzeuger Erik Sandin, aber das ist nur eine Vermutung.
Die letzten 6 Songs erklingen, darunter „Franco Un-American“, „72 Hookers“ und „Dinosaurs Will Die“. Plötzlich taucht ein Mann splitterfasernackt auf der Bühne auf und springt im nächsten Moment in die Menge. Gerüchten zufolge soll es sich um den Frontmann der Band CLOWNS, Stevie Williams, handeln. Was aus ihm geworden ist entzieht sich meiner Kenntnis.
Das Publikum ist mittlerweile ziemlich im Eimer und hat sich in den vergangenen fast zwei Stunden verausgabt. Aber jetzt gilt es noch einmal alle Reserven zu mobilisieren, denn ein letztes Mal erklingt hier „Kill All The White Men“, das El Hefe mit seiner Trompete begleitet.
Und dann ist das Konzert vorbei. Aus, Ende, Vorbei. Kein Abmoderation, kein „Auf Wiedersehen“, nichts.
Das ist wirklich der einzige Kritikpunkt den ich an diesem Tage habe. Ein Tom Araya von SLAYER spricht „Ich werde Euch vermissen“ ins Publikum und mir kamen damals fast die Tränen. Das die sonst so eloquenten und wortgewandten Kollegen wie Fat Mike oder auch Erik Melvin ohne ein weiteres Wort einfach so von der Bühne dackeln macht mich traurig und hinterlässt einen faden Beigeschmack.
NOFX
Auf dem Rückweg ist dann auch wieder die Deutsche Band die „alte Bekannte“ und hat prompt 40 Minuten Verspätung. Was soll’s, alles in allem war es ein tolles Konzert mit zwei jungen, aufstrebenden Bands, sowie drei alten Haudegen die man in dieser Konstellation auch wohl nie wieder zusammen bekommen wird. NOFX haben keine 40 Songs gespielt (anders als angekündigt), wenn die Auflistung korrekt ist waren es 38. Damit liegt der heutige Tag aber sehr gut da, in Hamburg und Kopenhagen waren es „nur“ 31, im niederländischen Eindhoven sogar nur 22. Auch die drei Alben waren weit davon entfernt komplett durchgespielt zu werden. Von „Wolves In Wolves‘ Clothing“ gab es 5 von 18 Stücken zu hören.
Aber all das war zu verkraften, denn die anderen Songs sind bockstark und NOFX eben geborene Entertainer. Es wird nun spannend zu sehen sein, was ab Oktober 2024 passieren wird, wenn in den USA wirklich die letzte Show gespielt wird. Für mich war es ein toller Abschied, dem lediglich der letzte stilvolle Moment gefehlt hat.