DISBELIEF – „Ich angele nicht mehr, ich kaufe jetzt Gold!“ (Studio-Bericht)

Als ich das Aufnahmestudio in Andernach, die „Perle am Rhein“, betrete, fühlt es sich von Anfang an etwas nach Aufbruchsstimmung an und es scheint so, als hätten sich Disbelief keinen besseren Zeitpunkt und Ort für die Aufnahmen ihrer Vorproduktion zu ihrem neuen Album mit dem Arbeitstitel „The Night Is Dark And Full Of Terrors“ aussuchen können. Für das Studio und Disbelief geht es dabei irgendwie um einen Neustart und darum, das Vergangene hinter sich zu lassen, ohne dabei zu vergessen, wo die Wurzeln sind. „Endlich sind wir wieder eine Einheit, eine richtige Band, die nicht nur aus Studio-Musikern besteht“ erzählt mir „Jagger“, der Mastermind von Disbelief. Karsten „Jagger“ Jäger sitzt auf dem Sofa des Ruhebereichs im Studio und hat seine Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Er wirkt konzentriert und in sich gekehrt, aber ruhig und zufrieden. Im Hintergrund wuselt hektisch der Tontechniker Jan Gensheimer herum, um Jagger den Wunsch zu erfüllen, einen besseren Sound aus dem Gesang herauszuholen. „Ich muss mich wohlfühlen beim Einsingen, damit ich aus mir herauskommen kann“ nickt Jagger mir kurz zu. Janosch, wie Jan üblich genannt wird, huschte nicht immer durch die Gänge des alten Fabrikgebäudes und Fotos und Erinnerungsstücke an der Wand erzählen eine bewegte Geschichte. Die Perle am Rhein wurde 1997 vom Produzenten Ricolf Cross eröffnet, der letztes Jahr leider verstarb. Doch noch immer spürt man die Liebe und die Hingabe, die er dort hineingesteckt hat. Für viele Studios hätte das sicher das Aus bedeutet, doch Ricos Frau Susanne wollte das Vermächtnis ihres Mannes nicht aufgeben und legte die Verantwortung für die Aufnahmeleitung vertrauensvoll in die Hände von Jan. Ein Neustart für die „Perle am Rhein“. Es passt also, dass Disbelief für ihre Vorproduktion nach Andernach gekommen sind. Denn für beide soll es der Startschuss für etwas richtig Gutes werden. 5 Jahre haben die Hessen sich Zeit gelassen, um ihr 10. Studioalbum auf den Weg zu bringen, was im letzten Halbjahr 2016 erscheinen soll und 13-14 Songs enthalten wird. Ich rechne kurz nach und stelle fest, dass ihr 10. Werk fast pünktlich zu ihrem Band-Jubiläum erschienen wäre.

Ich blicke zu Jagger auf und frage ihn: „Sag mal, hat Disbelief nicht auch 25-jähriges Bandjubiläum dieses Jahr?“ Mit einem leichten Schmunzeln antwortet Jagger: “ Eher wohl habe ich alleine 25-jähriges Band-Jubiläum“ und spielt damit natürlich auf die bewegte Geschichte von Disbelief an, was die Besetzungswechsel angeht. Nur Bassist Jochen Trunk hat eine ähnlich lange Dienstzeit vorzuweisen, seit 1995. „Vielleicht sollte ich mir zu meinem Band-Jubiläum eine goldene Uhr schenken!?“, überlegt Jagger kurz und wird in seinen Gedanken von Janosch unterbrochen, der es geschafft hat, Jaggers Wunsch nach mehr Tiefgang im Sound nachzukommen. Nun ging es schnell, der Frontmann von Disbelief erhebt sich und es fühlt sich für mich so an, als könne ich die Energie, die plötzlich durch Jagger floss, um endlich seiner Passion, dem Growlen, nachkommen zu können, anfassen. Ich nehme meinen Platz neben Janosch hinter dem riesigen Mischpult ein und Janosch spielt das erste Playback ab und der Instrumenten-Mix des ersten Songs hämmert durch die Studioboxen. Bedrohlich und erdig flutet er den Raum.

Mir huscht ein Lächeln über das Gesicht und mein einziger Gedanke ist: „Scheiße, ist das fett!“ Ich blicke vom Regieraum aus durch die Glasscheibe in den Aufnahmeraum und kann Jagger nicht entdecken. „Seltsam, ich habe ihn doch gerade reingehen sehen, ist er nochmal raus?“, denke ich bei mir. Als ein markerschütternder Schrei durch die Boxen kracht und Jaggers Stimme sich zu den Instrumenten-Spuren gesellt. Ich bin verblüfft und stehe auf. Jetzt kann ich den Frontmann sehen. Jagger kniet vor dem Aufnahme-Mikro und singt die ersten Textzeilen ein. Zwischendurch steht er auf und bangt zu dem Playback in den Gesangspausen und man sieht Jagger in jeder Sekunde seine Leidenschaft und den Spaß an dem neuen Lied an. Wenn jeder Mensch eine Berufung hat, dann ist Jaggers Berufung mit Sicherheit Frontmann einer Death-Kapelle zu sein. Nach etwa einer Stunde sind die ersten Takes im Kasten und ich bin schon zu diesem Zeitpunkt überzeugt, dass das neue Disbelief-Werk mal richtig fett werden kann, bin beeindruckt, welche Arbeit schon eine Vorproduktion macht und fühle mich bestätigt, wie rücksichtslos es eigentlich den Künstlern gegenüber ist, sich illegal seine Platten zu laden. Die Arbeit, die Mühe und selbstverständlich auch das Geld, was hinter einem solchen Projekt bis zur endgültigen Fertigstellung einer CD steckt, sind enorm und gerade den kleineren Bands gegenüber ist es einfach nur respektlos. Wir gehen zurück in den Ruheraum, um einen Kaffee zu trinken. Jagger wirkt gelöster als noch vor einer Stunde und die anfängliche Anspannung fällt von allen etwas ab. Ich frage Jagger, warum er sich beim Einsingen der Aufnahmen hinkniet. „Das mache ich glaube ich schon seit den Aufnahmen zur Shine oder „Spreading The Rage“, ich bekomme dann keine Kopfschmerzen. Die Energie, die im Körper beim Growlen entsteht, kann ich dann besser verteilen. Bei Live-Auftritten hat man einen Mikroständer, an dem man sich festhalten kann, im Studio geht das nicht.“ Was nach einer kleinen Marotte klingt, ist für mich schlüssig und ich kenne das mit den Kopfschmerzen tatsächlich auch selbst von mir und beschließe, die Methode für mich ebenfalls einmal auszuprobieren. Wir kommen nun ins Plaudern, auch hier erwähnt Jagger noch einmal, wie wichtig es war, dass man gerade auch mit dem neuen Schlagzeuger Fabian „Fab“ Regmann ein neues festes Bandmitglied gewonnen hat und Disbelief nun endlich wieder eine Einheit ist und ich kann bestätigen, dass die Band, die schon Anfang August im Studio war, um die Instrumenten-Spuren einzuspielen, alle wie aus einem Guss klingen.Jagger vergleicht das Ganze mit einer funktionierenden Fußballmannschaft: „Ich bin Sänger und muss die Tore vorne reinmachen, aber wenn ich mal einen durchlasse und mein Mittelfeld mit den Saiteninstrumenten auch nicht retten kann, brauche ich einen Schlagzeuger, der wie Manuel Neuer ist und das Ding von der Linie kratzt!“ Um bei dem Fußballvergleich zu bleiben, scheint angesichts dessen, was ich von der Vorproduktion gehört habe, das Zusammenspiel hervorragend zu funktionieren und hat auf alle Fälle internationales Spitzen-Niveau. Ob die neue Platte wie gewohnt bei Massacre Records erscheint, konnte der sympathische Sänger von Disbelief mir allerdings noch nicht beantworten, das entscheidet sich erst alles nach der Vorproduktion. Dass uns aber ein richtig guter Death Metal auf der neuen Scheibe erwartet, kann man schon prophezeien, denke ich. Ich sehe von meinem Handy hoch, auf dem ich mir Notizen des Besuchs mache. „Jagger, was denkst Du ist das eigentlich noch Death Metal, was Ihr macht? Man liest auch immer wieder wenn ihr eingeordnet werdet was von Extreme Metal oder auch Melodic Death?“ Urgestein Jäger überlegt kurz und sieht mich ein wenig irritiert an: „Meine Stimme ist Death, ganz klar!“ Wieder merkt man ihm an, dass es das ist, was er will. Ich frage weiter nach: “ Die Texte sind alle von Dir, oder? Ich finde trotz aller Härte, die Du in Deine Stimme legst, dass Du im Gegensatz zu anderen Genre-Kollegen echt gut zu verstehen bist.“ „Ja, die Texte sind alle von mir und ich lege da besonderen Wert drauf, dass sie auch beim Hören verständlich sind, was habe ich von Texten, die niemand versteht?“ Ich gebe ihm Recht, denn hier geht es ja auch um das, was ein Musiker seinen Hörern vermitteln will und was er ausdrücken möchte. Jagger ergänzt: „Ich höre mir selber keine Band mehr an, wo ich die Texte nicht verstehe.“ Jagger sieht sich in der Runde um, grinst und beendet seinen Satz mit der Frage: „Ist Euch eigentlich klar, dass die Schweden den ganzen Death versaut haben? Ich meine, es musste immer härter und extremer werden, so dass vom Gesang fast nichts mehr verständlich war!“

Wir reden sicher noch 15 Minuten weiter und reden über die Wurzeln des Death Metal, über analoge und digitale Aufnahme-Möglichkeiten und auch hier merke ich wieder, dass ich jemanden vor mir habe, der sich gut auskennt und vor allem auch genau weiß, wie das neue Album klingen soll. Ich hätte noch stundenlang weiter philosophieren können, nicht nur über Musik, sondern auch über gesellschaftliche Dinge, die zur Zeit passieren. Auch hier zeigt Jagger sich in einer erfrischenden, aufgeklärten Art als jemand, der sich seine Gedanken macht. Der „Game Of Thrones“-Fan, was uns auch der Arbeitstitel des neuen Album verrät, erzählt mir dann noch, dass er für seine Altersvorsorge in Gold investiert: „Ich angele nicht mehr, ich kaufe jetzt Gold!“ Dies ist auch ein schönes Schlussstatement für diesen Bericht, wie ich finde. Denn Disbelief vergoldet gerade ihre Vorproduktion in einer Perle an Studio mit einem Tontechniker, der sein Handwerk versteht und auch in der Lage ist, mit großen Fischen umzugehen. Ich kann nur sagen, mir hat der Nachmittag sehr gefallen und ich kann es kaum erwarten, die Jungs ein weiteres Mal zu treffen, vielleicht mal zu einem richtig großen Interview zur neuen Scheibe und freue mich richtig auf das neue Werk von Disbelief und Ihr könnt es auch!

Autor
"Wenn man einmal dem Metal verfallen ist, ändert man seine Gesinnung nicht einfach von heute auf morgen." ( Parramore McCarty, Warrior)